Eine kleine Windelgeschichte.
Seit es Kinder gibt, stellt sich für die Mütter und Väter immer wieder die Frage, welches
die beste Wickelmethode ist! Auch wenn es darauf wohl nie eine endgültige Antwort geben
wird, die alle gleichermassen befriedigt, habe ich mich auf die Suche noch Anhaltspunkten
gemacht, um etwas Licht in diese Angelegenheit zu bringen.
Wie sich herausstellen sollte, ist dies aber gar nicht so einfach. Es gibt nur sehr wenige
schriftliche Dokumente über das Wickeln, und in vielen Werken, von denen ich mir weitere
Informationen erhoffte, wird das Thema mit keinem Wort erwähnt.
Anstatt auf Antworten stiess ich auf neue Fragen:
- Weshalb wird das Thema Wickeln nirgends behandelt?
- Weshalb wissen die Frauen von heute so wenig darüber
Das wenige Wissen, das ich zusammentragen konnte, habe ich in dieser «kleinen Geschichte
der Windel» für Sie zusammengefasst, in der Hoffnung, dass es irgendwann mehr werde und in
Form eines kleinen Büchleins den Weg zu den kommenden Müttern und Vätern finden möge.
Für Informationen und Hinweise zum Thema Wickeln wäre ich sehr dankbar
Der Erfahrungsschatz unserer Grossmütter
In früheren Zeiten beschaffte sich der Mensch die Rohstoffe meist direkt aus der ihn
umgebenden Natur: von Tieren, Pflanzen und Mineralien.
Ein wichtiger Faktor für die Art, wie Kinder damals gewickelt wurden, war also die
ausreichende Verfügbarkeit bestimmter Materialien, die sich dazu eigneten. Blätter
bestimmter Pflanzen, Heu und Stroh, Tierhäute und Felle, und in späteren Zeiten auch
Wolle, Leinen, Baumwolle sowie Mischgewebe
Durch langjährige Erfahrung, die von der Grossmutter an die Mutter und von der Mutter an
die Tochter weitergegeben wurde, entdeckte man mehr und mehr, welche Wickelmethode den
Bedürfnissen von Mutter und Kind am besten gerecht wurde.
Die zarte Haut des Neugeborenen braucht; Licht, Luft und Feuchtigkeit um sich gesund zu
entwickeln. Das Wickelpaket musste also einerseits luftdurchlässig sein, damit die Haut
atmen konnte, und andererseits viel Feuchtigkeit aufnehmen, ohne die Haut des Kindes
auszutrocknen.
Da man in jenen Zeiten wahrscheinlich um die pflegende und heilende Eigenschaft des
Harnstoffs wusste, war wohl niemand bestrebt, das Kind möglichst trocken zu halten oder
die Berührung des Urin mit der Haut zu vermeiden.
Windeldermatitis, Pilze und Entzündungen kannte man damals noch nicht.
Als Tücher und Stoffe zu kostbar waren.
Wer die biblische Geschichte kennt, weiss, dass Maria das Jesuskind in einer Krippe auf
Heu und Stroh gebettet hat. Ob man das nun wörtlich nehmen will oder nicht, spielt dabei
eine untergeordnete Rolle.
Tatsache ist, dass Heu angenehm duftet und nicht kratzt, während Stroh sehr viel
Flüssigkeit aufnehmen kann. Gerade wegen dieser hervorragenden Eigenschaften wird diese
Kombination auch heute noch in der Tierhaltung verwendet. Ausserdem handelt es sich dabei
um Rohstoffe, die in jener Zeit in beliebigen Mengen und erst noch kostenlos zur Verfügung
standen.
Tücher und Stoffe hingegen waren viel zu aufwändig in der Herstellung und dementsprechend
wertvoll.
Wolle, Leinen und Baumwolle
Wolle war die erste spinnbare Faser, die in grossem Umfang zur Herstellung von Textilien
verwendet wurde. Wollfilze waren in Ägypten und China bereits um das Jahr 5000 vor
Christus bekannt. Auch Flachsfasern - besser bekannt als Leinenfasern - wurden schon früh
zu Garnen versponnen, aus denen Stoffe und Kleider gefertigt werden konnten.
Im Mittelalter war Leinen, das man wegen seiner Reissfestigkeit sehr schätzte, neben Wolle
der wichtigste Kleidungsstoff in Europa. Erst im 19. Jahrhundert drängte die Baumwolle
Leinen und Schafwolle mehr und mehr zurück, bis sie schliesslich mit einem Anteil von über
50 Prozent zum bedeutendsten Textilrohstoff wurde.
Während Wolle und Flachs heimische Rohstoffe waren, musste Baumwolle importiert werden.
Deshalb war sie auch nicht gerade billig. Dazu kam, dass die kurzen Fasern der Baumwolle
ziemlich schwierig zu verspinnen waren. Um eine etwas längere Faser zu erhalten, wurde die
Baumwolle meistens zusammen mit Leinen versponnen. Dadurch erreichte man auch, dass die
Baumwollgewebe reissfester wurden.
Viele unbeantwortete Fragen
Wie in den verschiedenen Zeiten und Gegenden gewickelt wurde, lässt sich nicht bis ins
Detail nachvollziehen. Einerseits sind die fehlenden Zeugnisse über das Wickeln in
vergangenen Zeiten daran schuld. Das Thema scheint in der Forschung schlicht nicht zu
existieren. Andererseits darf aber nicht vergessen werden, dass in früheren Epochen in den
gemässigten Klimazonen wohl kaum gewickelt wurde.
Berührungsängste, wie wir sie heute unseren Ausscheidungen gegenüber haben, kannte man
damals in dieser Form nicht. Auch Spannteppiche und Matratzen, die dadurch hätten
verschmutzt werden können, gab es noch nicht. Also liess man die Kinder ihre Bedürfnisse
einfach verrichten und putzte sie dann weg.
Nackte Kinder brauchen keine Windel
Die indischen Frauen hatten über dem Hüftknochen, wo sie ihr Kind
stets bei sich trugen, eine derart hohe Sensibilität entwickelt, dass sie spürten, wenn es
die Blase entleeren musste. Sie hielten es dann einfach von sich weg, bis die Notdurft
verrichtet war. Den Stuhl liess man trocknen, kehrte ihn weg und verbrannte ihn
anschliessend.
Überall dort, wo das Klima genügend warm war und die Kinder nackt
bleiben konnten, war das Wickeln also kein vorrangiges Thema. Aber wie haben die
Eskimofrauen dieses Problem gelöst? Mit Fellen oder Tierhäuten, die im Schnee sauber
gemacht und über dem Feuer getrocknet wurden? Leider können wir darüber nur Spekulationen
anstellen, da uns keine konkreten Informationen vorliegen.
Umweltfreundlich wickeln Anno dazumal
Aber kommen wir zurück noch Europa. Von den Walliser Frauen weiss
man, dass sie Schafwollhöschen strickten, die sie mit einer Schicht Stroh und Heu füllten
und so dem Kind anzogen. Das ergab ein dichtes, aber luftdurchlässiges Wickelpaket und bot
den Vorteil, dass das Schafwollhöschen nicht nach jedem Gebrauch gewaschen werden
musste.
Man liess es einfach trocknen und gab eine neue Schicht Stroh und Heu
hinein.
Als die Stofftücher erschwinglich wurden
Mit Stofftüchern wurde erst relativ spät gewickelt, wobei es rund 20
verschiedene Faltmethoden gab, von denen heute nur noch zwei bekannt sind.
Eine alte Frau in Süditalien erzählte folgendes über das
Wickeln;
Zuerst legte man ein sauberes Tuch um den Po des Säuglings. Darüber
kam ein zweites Tuch, das mit Olivenöl getränkt war. Ein drittes, meist etwas dickeres
Tuch, das oft aus Wolle war, bildete die letzte Schicht. Sobald die Kinder laufen
konnten, trugen Mädchen und Jungen Kleiderschürzen, die sie am Leib bedeckten, aber unten
durch offen waren.
In Deutschland wurden die Mitteltücher hingegen in heisses Fett oder
Bienenwachs getaucht oder damit bestrichen. Es ist aber durchaus auch denkbar, dass auch
Baumharze oder grosse Blätter verwendet wurden, um das Wickelpaket dicht zu machen
Wie es zu Windeldermatitis und Entzündungen kam
Anfangs des 19. Jahrhunderts war man schliesslich so weit, dass man
Stoffe gummieren konnte. Ob solche gummierten Stoffe auch im Wickelbereich als Gummihöschen
Verwendung fanden, lässt sich nur erahnen.
Mit dem Anbruch des Ölzeitalters nach dem zweiten Weltkrieg begann
der Triumphzug des Kunststoffs. Mit der Plastikhose liess sich jedes Wickelpaket
hundertprozentig dicht machen - so dicht, dass damit auch sogleich das Problem der
Windeldermatitis und entzündeter, wunder Baby-Po’s ins Leben gerufen wurde.
Da das Plastikhöschen nicht nur wasserdicht, sondern auch völlig
luftundurchlässig ist, können die Urinsäure und das Ammoniak im Stuhl nicht entweichen.
Das feuchtwarme, luftdicht abgeschlossene Klima im Innern der Windel war zusammen mit der
Säure, die sich darin bildete, der ideale Nährboden für Infektionen oller Art.
Als man die Windel zu vermarkten begann
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde der Wickelbereich als
Markt entdeckt, was eine Reihe von Weiterentwicklungen zur Folge hatte.
Man begann den Plastik mit Stoff zu umhüllen und das Innere mit
synthetischem Netzgewebe auszupolstern. So liess sich zumindest mehr Geld verdienen, auch
wenn das Problem des ungesunden Klimas im Innern damit nicht gelöst war.
In den fünfziger Jahren wurde den Müttern ein Einlagestreifen aus
Papier beschert, der das Saugvolumen der Windel erhöhte. Als Folge davon blieben die
Kinder noch länger in der Windel, was das Problem der lnfektionen zusätzlich
verschärfte.
Die Plastikhose schien also doch keine befriedigende Lösung zu
sein.
Die Lüge von der Nässe, die wund macht.
Vor diesem Hintergrund hatte die Wegwerfwindel bei ihrer Einführung
in der Schweiz im Jahre 1975 ein leichtes Spiel auf dem Markt.
Die Wirtschaft florierte und die Bevölkerung war zu jener Zeit
überaus fortschrittsgläubig. So wurde alles Neue freudig begrüsst vor allem wenn es
vorgab, das Leben zu erleichtern. Negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt
waren damals noch kein Thema.
Um den Verkauf anzukurbeln, wurde auch vor Lügen nicht halt gemacht:
Man erzählte den Frauen einfach, dass die Nässe ihr Kind wund macht und an den lnfektionen
schuld ist, und bot ihnen eine Windel an, die das Kind schön trocken hielt.
Vielleicht müsste man diese Marketingfachleute einmal fragen, weshalb
denn die Kinder nicht wund auf die Welt kommen, nachdem sie 9 Monate im Fruchtwasser
gelegen haben?
Oder weshalb Harnstoff in Hautpflegeprodukten und Heilmitteln
Verwendung finden, wenn der Urin der Haut angeblich so arg zusetzt.
Wickeln - eine Männerdomäne?
Aber schimpfen hilft nicht weiter. Und so einfach ist die
Schuldzuweisung nun doch auch wieder nicht.
Eines steht jedoch fest: Von dem Augenblick an, als die Windel zu
einem Produkt wurde, mit dem man Geld verdienen konnte, mischten auch im Wickelbereich
vorwiegend die Männer mit. Die Frauen gehören an den Herd und zu den Kindern, wozu sie
bestimmt keiner höheren Bildung bedurften.
Das «technische» Wissen war also weitgehend auf die Männer
beschränkt, und die Frauen wurden während des starken Wirtschaftswachstums vorwiegend als
Hilfsarbeiterinnen beigezogen. Dieser Einbezug in die wirtschaftliche Tätigkeit war ein
Grund mehr, mit Wegwerfwindeln zu wickeln, denn Zeit war auf einmal Geld.
Da die Frauen bei der ·Entwicklung dieser neuen Windeln nur indirekt
mitreden konnten, verwundert es auch nicht, dass der alte Erfahrungsschatz der Mutter und
Grossmutter dabei auf der Strecke blieb. Und das Problem der Entzündungen und Infektionen
war immer noch nicht gelöst.
Als Gesundheit und Umwelt zum Thema wurden
Langsam begann man sich daran zu gewöhnen, dass die
Kleinkinder einen wunden oder entzündeten Hintern hatten. Das Problem war unterdessen
schon so alt, dass man es nicht einmal mehr hinterfragte. Damit wurde die Windeldermatitis
zum medizinischen Problem, und in der Folge wurde fleissig gepudert, gesalbt und geölt.
Immer neue medizinische Präparate kamen auf den Markt, und selbstverständlich bekam man
sie auf Rezept.
Aber irgendwann war das Fass zum überlaufen voll:
Gesundheit und Umweltschutz wurden zu gesellschaftsfähigen Themen, die in immer breiteren
Kreisen öffentlich diskutiert wurden. Und vielleicht spielte auch die Kostenexplosion bei
den Krankenkassen eine nicht unwesentliche Rolle. Auf jeden Fall waren die Hersteller der
Wegwerfwindel gezwungen, sich etwas einfallen zu lassen.
Wegwerfwindeln - bequem, aber...
Heute sind die Wegwerfwindeln im lnnern mit einem Granulat (hochmolekular vernetztes
Polyacrylat) gefüllt, das die Urinsäure und das Ammoniak aus dem Stuhl neutralisieren
soll.
Das Wickelpaket bleibt also absolut dicht und luftundurchlässig, aber das ungesunde Klima
im lnnern wird auf chemischem Weg neutralisiert. So kann das Kind noch länger in derselben
Windel bleiben. Was für Auswirkungen (auch langfristige) dies auf die Gesundheit des
Kindes und seine zarte Haut hat, ist bis heute nicht ausreichend geklärt.
Ein Nachteil ist die Tatsache, dass die Mutter keine
Kontrolle mehr über den Urin (weil dieser von den verwendeten Absorbern aufgesaugt wird)
und den Stuhl des Kindes hat und auch Ärzte können aus einer Wegwerfwindel keine
Stuhlprobe analysieren.
Gerade aus den Ausscheidungen des Kindes lassen sich
jedoch wertvolle Rückschlüsse auf sein Befinden ziehen
Das verlorengegangene Wissen
Traurig
ist, dass der über Generationen angesammelte Erfahrungsschatz der Mütter und Grossmütter
weitgehend verlorengegangen ist. Dadurch sind die Eltern heute in einer viel schwierigeren
Lage als früher.
Dass der Urin aus werbestrategischen Gründen für die Entzündungen und Infektionen
verantwortlich gemacht wird, was viele unwissende Mutter und Väter auch glauben, weil sie
es halt einfach nicht besser wissen, ist ein geradezu tragisches Beispiel für
Desinformation. Die Ehrfurcht vor den weissen Schürzen und die pseudowissenschaftlichen
Werbebotschaften haben so weit geführt, dass der Urin als «eklige Brühe voller
Krankheitserreger» betrachtet wird.
Als in den Kriegen die Arzneimittel ausgingen, wurde derselbe Urin jedoch wegen seiner
hervorragenden Eigenschaften zur Desinfizierung und schnelleren Heilung der Wunden
eingesetzt. Und dies mit grossartigem Erfolg. Daneben wird Harnstoff in nicht wenigen
Kosmetika und Heilmitteln verwendet, weil seine heilsame Wirkung auf die Haut für die
Wissenschaft kein Geheimnis ist.
Unsere Buchempfehlung zum Thema:
Ein ganz besonderer Saft - Urin
Carmen Thomas, vgs verlagsgesellschaft, Köln 1993, ISBN
3-8025-1268-5
Gibt es die richtige Wickelmethode?
Es ist also nicht einfach, die Frage nach der richtigen Wickelmethode zu beantworten. Ein
Grund dafür ist die gezielte Desinformation, die man immer wieder dort antrifft, wenn es
um Geld geht - um viel Geld.
Wissen ist Macht und für viele Mütter und Väter, denen die Gesundheit ihres Kindes am
Herzen liegt, die einzige Möglichkeit, um unabhängig zu einer eigenen Meinung zu gelangen,
für die sie auch gerade stehen können.
Denn wissen wollen beinhaltet auch die Bereitschaft, eigene Wege zu gehen und
Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen.
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